„Alle sind so unterschiedlich und sehnen sich doch nach denselben Dingen: wahrgenommen zu werden, seinen Teil beitragen, ein Platz in dieser Welt, Liebe, Wertschätzung, für jemandem von Bedeutung sein.“ Ich laufe durch Turin in Italien. Mit meinen drei Mädels, meinem Mann und drei jungen Männern. Ich habe schon viele Menschen heute gesehen:

Ein Afrikaner, der eine Menge Hüte, Ketten, Armbänder und andere Dinge in einer Art Bauchladen in der Hitze vor sich her trägt. Seine Augen wirken müde. Ich habe nicht nachgefragt, aber vermutlich ist er über das Meer hier nach Italien gekommen um sein Überleben zu sichern oder sein Glück zu suchen oder beides?….

Eine italienische Bella Donna. Sie ist sicher schon über 70 Jahre, die Haare sorgfältig gefönt, trägt sie ein blaues Kleid und: Highheels. Keine praktischen Schuhe aus dem Sanitätshaus, sondern ca. 8 com hohe Pfennigabsätze. Für ihren Weg braucht sie sicher dreimal so lange, aber das scheint es ihr wert zu sein. Ist sie glücklich? Ist sie einsam? Ist sie zufrieden mit ihrer Vergangenheit? Hat sie das Gefühl ihren Teil beitragen zu können in dieser Welt?

Aus einem Hotel kommt ein Paar. Er ist offensichtlich um einiges älter als sie. Sie hat wunderschöne Porzellanhaut, Wimpernextensions, sorgfältiges Make up. „Oh, die sind bestimmt voll reich,“ auch meine Große hat die beiden wahrgenommen, ihre Kleidung, ihr Auftreten. Was sie wohl hier machen? Urlaub oder begleitet sie ihn auf Geschäftsreise? Fühlt sie sich wahrgenommen? Fühlt er sich geliebt? Sind sie glücklich?

Wir sind hier um Ali zu besuchen, der aus dem Iran nach Deutschland kam und nun sein Glück in Italien sucht. Seine Kunst ist das Breakdancen. Meinem Mann war es wichtig nach ihm zu schauen, wie es ihm geht, was er so macht. Also brechen wir zu einem Kurzurlaub nach Italien auf. Ali kommt nicht allein. Er bringt zwei Kumpels mit, einer kommt aus Rumänien, einer war schon überall, nur schon lange nicht mehr zuhause. Die Straße ist ihr Übungsraum, sie zeigen uns „ihre“ Plätze. Wir fahren mit dem Bus, der in Deutschland keinen TÜV bekommen hätte, lernen die Stadt nicht aus der Touristensicht kennen, sondern aus der ihren. Ihr Beruf ist das Tanzen. Und auch wenn sie hinter dem großen Theater proben, ist ihre Bühne die Straße, die Gage beläuft sich darauf wie viel die Passanten bereit sind zu geben. Haben sie sich ihr Leben so vorgestellt? Ist das Überleben oder die Suche nach Glück oder das Bedürfnis seinen Beitrag zu leisten in dieser Welt, einen Platz zu finden an dem man sein darf?

Rückt uns das näher zueinander, dieses Wissen, dass wir so unterschiedliche Leben haben und viele von uns doch dasselbe wollen? Macht uns das gnädiger? Verlernen wir damit das urteilen? Können wir lernen den anderen wertzuschätzen, auch wenn wir sein Handeln nicht verstehen? Uns gegenseitig zu respektieren, auch wenn wir unterschiedliche Entscheidungen treffen. Lernen wir zu verstehen, dass meine Einsicht für die Erfahrungen des anderen unbrauchbar sein können, weil das Leben des anderen ein ganz anderes ist, seine Erfahrungen, seine Erlebnisse…? Ich bin dankbar für die Begegnung mit Ali und seinen Freunden, auch wenn es mir im ersten Moment wieder schwer fällt heimzukehren, weil ich die Ungerechtigkeiten dieser Welt so unerträglich finde, bin ich heute wieder dankbar für meine Familie, für unser Zuhause, für meinen sicheren Arbeitsplatz und für euch als meine Leserinnen. Vielen Dank, dass du dir Zeit nimmst immer mal wieder meine Gedanken zu lesen!

Wir sind so unterschiedlich und sehnen uns doch nach denselben Dingen: wahrgenommen zu werden, unseren Teil beizutragen, ein Platz in dieser Welt, Liebe, Wertschätzung, für jemandem von Bedeutung sein…

Vielleicht ist mir deshalb die Dankbarkeit so wichtig. Ich kann die Ungerechtigkeit dieser Welt nicht lösen, aber ich kann achtsam und wertschätzend damit umgehen was mir anvertraut ist und es dankend annehmen. Mit dem Blick auf das was mir geschenkt ist und nicht auf das was mir zu meinem Glück noch fehlt…