Sie macht mir Mut ohne, dass sie mit mir redet. Sie bringt mich ins Nachdenken ohne, dass sie etwas sagt. Sie ist mir Vorbild ohne, dass sie das weiß. Im Gottesdienst, in der Stadt, beim Einkaufen begegne ich immer wieder einer alten Dame…ihre Kinder sind schon groß und deren Kinder auch (fast) schon. Sie strahlt. Für mich strahlt sie etwas aus, hat sie eine Ausstrahlung, die mir Mut macht, die mich zum Nachdenken bringt, die mir Vorbild ist. Ihr Leben war und ist nicht immer einfach, aber Wunden und Verletzungen haben sich in ihrem Herzen nicht als Bitterkeit festgesetzt. Der Prozess des Alterns mit all den Dingen, 20150705_120831die schwer fallen, die weh tun, die sie wahrnimmt, ist nicht Gesprächsthema Nummer eins. Im Gegenteil, sie geht ihr Leben aktiv an, auch im Alter. Sie redet immer wieder von der Gnade, dass jeder Tag ein Geschenk ihres Schöpfer ist und dass man Geschenke sorgsam behandelt. Sie scheint versöhnt mit sich und ihrer Geschichte und damit auch mit den anderen und deren Geschichten. Und wenn ich sie beobachte, dann lerne ich, dass die jungen Jahre und das Alter Hand in Hand miteinander gehen. Wie ich jetzt mit mir zugefügten Wunden umgehe hat Auswirkungen ins Alter. Wie ich jetzt mit Verletzungen umgehe hat Auswirkung ins Alter. Wie ich jetzt mit mir umgehe, mit meinen Schwächen, den Fehlern, die ich mache, den Verletzungen, die ich anderen zufüge, hat Auswirkungen ins Alter. Das glaube ich. Diese alte Dame ist meine Mutmacherin, mein Vorbild, meine Erinnerung für einen bewussten, einen versöhnten Lebensstil, weil sie eine schöne alte Dame ist. Denn versöhnt und als Beschenkte zu altern lässt strahlen, mit Falten, mit schwerfälligen Fingern, mit weißen Haaren. Und für diese Dame und ihr Strahlen bin ich heute dankbar.