Schlagwörter

Und als ich die Nachricht gehört habe, dass die 19jährige junge Frau in Freiburg von einem afghanischen unbegleitetem Geflüchtetem vergewaltigt und ermordet wurde, bleibt meine Welt für einen Augenblick in Schockstarre stehen. Und all die Gefühle, die in mir wohnen, zeigen sich. Kann ich weiter unbegleitete Geflüchtete aus anderen Kulturen bei mir willkommen heißen? Ist das nicht gefährlich? Wie verändert sich das Land in dem ich geboren bin, das ich liebe? Bestätigt es meine inneren Ängste und Unsicherheiten, dass das Böse von außen kommt und jetzt erst richtige Probleme entstehen, weil wir Grenzen und Häuser öffnen? Ist das so? Darauf habe ich keine Antworten – nur eine Geschichte. Vor knapp einem Jahr kamen sie das erste Mal zu uns zum Essen. Alle ziemlich groß, mit Bartwuchs und auf die Frage wie alt sie sind antworten sie: 16. Und ich bin etwas verunsichert. Unsere 16jährigen sehen wirklich anders aus – noch nicht so nach Mann. Und ich bin so dankbar, dass meine Angst mich zur Vorsicht mahnt, aber nicht zur Ausgrenzung ermutigt. Und so kommen sie, jede Woche. Und ich höre ihre Geschichten. Der eine gehört zu einer Minderheit in seinem Heimatland. Keine Chance auf Bildung, auf Entwicklung, auf Selbstständigkeit. Immer Angst vor der Gewalt, die auf der Straße lauert. Und seine Mutter schickt ihn los, als das Nachbardorf verwüstet wird. Er soll es besser haben, er soll eine Chance bekommen. Zukunft soll kein leeres Wort, sondern Wirklichkeit werden. Der Kontakt nach Hause fast unmöglich, weil es dort die Telekom nicht gibt. Seinen Freund hat er auf der Flucht kennen gelernt. Seine Familie glaubt an einen anderen Gott und das ist in seinem Heimatland nicht erlaubt. Das Wort Toleranz kennt man dort nicht. Sie erleben immer wieder Demütigungen, Unsicherheit, Angst. Zwischen dem Abschiedskuss und heute liegt fast ein Jahr. Er vermisst seine Familie so, erzählt immer wieder von seiner kleinen Schwester. Er wünscht sich einen Beruf zu erlernen, lernt schnell unsere Sprache, ist hilfsbereit. Auf der Flucht lernt er seinen Freund kennen, der von seinem Onkel los geschickt wurde, weil seine Mutter ins Gefängnis kam. In den Augen unseres Rechtstaates hat sie nichts falsch gemacht. Aber es wird zu gefährlich für ihn in der Heimat zu bleiben, da wo er verwurzelt ist. Er soll neue Wurzeln schlagen nach einer gefährlichen Flucht, in einer anderen Sprache, in einer fremden Kultur. Geht das überhaupt?… Wir sind alle Menschen mit Gaben und Fähigkeiten, mit Träumen und Wünschen, mit dem Bedürfnis wirksam zu sein. Aber wir werden an sehr unterschiedlichen Orten in dieser Welt geboren, mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen, in ganz unterschiedliche Situationen. Und mit anderen Sprachen, mit anderem Aussehen, mit dem fremden Geruch kommt auch die Unsicherheit, das Bedürfnis zu schützen was man hat. Und die Vermutung steht im Raum, dass Sprüche: >Das Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt.< (Albert Schweizer) oder >Liebe ist das einzige was wächst, wenn wir es verschwenden.< (Ricarda Huch) nette Poesie, aber nicht Lebenswirklichkeit sind. Mir geht es nicht um Politik, um geschlossene oder offene Grenzen…mit geht es um meine Stadt, um mein Zuhause, um die, die schon hier sind. Ich erlebe, dass die 2 netten Poesiesprüche Wirklichkeit werden können. Ich komme auch an meine Grenzen, bin überfordert oder genervt. Aber die Gefühle kannte ich auch schon bevor ich mit Geflüchteten in Kontakt kam. Und so bin ich sehr dankbar für die Menschen, die mir begegnen, die mein Leben durcheinander wirbeln und auch bereichern, die mich nachdenklich machen und mich reflektieren lassen, die mich neu dankbar machen für das Glück, das ich habe und dass es nichts Selbstverständliches in meinem Leben gibt. Ich bin dankbar, dass sie aus Fremden Freunde machen, aus Angst Zuversicht und aus Sorge Hoffnung… 20161027_133437

(…und ich hoffe sehr und erwarte, dass der Täter zur Rechenschaft gezogen wird. Es gibt keine angemessene Strafe für ein solches menschenverachtendes Verhalten, aber wirksame Konsequenzen und ich wünsche mir, dass so etwas nie wieder einer Frau passiert – weder durch einen Geflüchteten, noch durch einen Deutschen, weder durch einen Ehemann, noch durch einen Fremden. Woher kommt nur diese Lieblosigkeit, diese Unmenschlichkeit, dieses Zerstören von Mensch zu Mensch?)