Parkplatz suchen, Auto abstellen, zur Haustür, klingeln, Treppe hoch. Unzählige Male schon an jenem Vormittag. Mein letzter Einsatz für heute. Ich betrete die Wohnung, etwas ist anders. Ich gehe ins Zimmer des Patienten, seine Frau folgt mir. Unsicher wandert mein Blick in ihre Richtung, schätzt sie die Situation so ein wie ich, dass sich ihr Mann in der letzten Phase seines Lebens befindet? Sie ahnt es, geht zu ihm, redet leise mit ihm – von längst vergangenen Zeiten, von den gemeinsamen Kindern. Ihre Stimme ist weich, voller Liebe. Immer wieder bewegt sich seine Hand, nestelt über die Bettdecke, nicht mehr ganz bei Bewusstsein, aber immer noch suchend. Er findet Halt, denn die Hand seiner Frau ist bereit die seine in ihrer zu halten, sie hält sie fest und sie hält ihn fest. Mein Einsatz verlängert sich, aber gibt es im Angesicht des Todes ein Zeitgefühl. Meines scheint verloren zu gehen. Wir betten ihn, schauen, dass er weich liegt, polstern alles. Meine eigentliche Aufgabe kann ich nicht mehr zur vollen Zufriedenheit ausführen, der Körper konzentriert sich nur noch auf die wichtigsten Organe. Ein Mann, der aus dem Leben scheidet. Der diese Welt verlässt, seine letzte Reise angetreten ist und seine Frau, die die letzten Schritte versucht mitzugehen. Nicht der Alltag hat ihre Liebe zum Erliegen gebracht, nicht die Enttäuschung darüber im anderen nicht das Glück gefunden zu haben, nein, es ist der Tod, der sie trennen wird. So wie sie es sich vor vielen Jahren versprochen haben – bis dass der Tod euch scheidet. Vor mir liegt ein Mann in seiner ganzen Schwachheit, vom hohen Alter und Krankheit gezeichnet. Sie sieht viel mehr, erinnert sich, kennt ihn, schätzt ihn, liebt ihn. Ich habe in meiner Laufbahn als Krankenschwester schon so manchen Menschen von dieser Erde gehen sehen. Aber hier ist etwas besonders, weil die Liebe noch so spürbar ist, diese Aufrichtigkeit. Ich bin tief bewegt. In Diskussionen über die Ewigkeit oder ob es ein Leben nach dem Tod gibt bin ich schon lange nur noch Zuhörerin. Zu stolz wirken manchmal die Argumente, dass der Glaube doch nur ein billiger Trost ist, dass das alles rational nicht zu erklären ist, es keine Beweise gibt. Ob nun als billig betitelt oder nicht, für mich ist der Blick auf die Ewigkeit immer Trost – vor allem in solchen Momenten. Wer schon einmal einen Sterbenden gesehen hat, der argumentiert nicht ausschließlich mit rational stichhaltigen Argumenten und wer Beweise braucht, der ist beim Glauben sowieso falsch. Gott beweist sich nicht. Ich gehe, wir verabschieden uns. Der Hausarzt wird noch vorbei kommen, die erwachsenen Kinder sind auf dem Weg. Ich gehe zurück in meinen Alltag, nachdenklich, bedrückt, traurig und demütig. Denn es wird mir wieder einmal bewusst, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die sich weder erklären noch kontrollieren lassen. Dort bewegt sich die aufrichtige Liebe, das Mitgefühl, die Sehnsucht… „Gott wird alle ihre Tränen abwischen, und es wird keinen Tod und keine Trauer und kein Weinen und keinen Schmerz mehr geben. Denn die erste Welt mit ihrem ganzen Unheil ist für immer vergangen.“Offenbarung 21,4 Ich bin so dankbar für diesen Trost und diese Hoffnung und im alltäglichen Einerlei den Blick auf die Ewigkeit nicht aus den Augen zu verlieren.
verlorenes Zeitgefühl
13 Mittwoch Mrz 2019
Posted Dankbarkeitsmomente
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PR-Siegle sagte:
Lissy, das ist so unglaublich wertvoll was du schreibst. D A N K E.
alltagsstueckwerk sagte:
Ja, sehr gerne. Mir tut das schreibende Wahrnehmen und formulieren von Erlebten auch gut. Mit lieben Grüßen
Christina S sagte:
Danke liebe Lissy, für diesen bewegenden EInblick! Kommenden Samstag ist der erste Todestag meiner Mutter und deshalb ist das was Du schreibst gerade so nah an dem was mich bewegt… dIe treue Liebe angesichts des Todes und der Ausblick auf abgewischte Tränen sind sanfte Verheissungen die am Ende vielleicht tragender sind als eingeforderte Beweise oder erhoffte Zeichen (damit habe ich im vergangenen Jahr immer wieder gerungen). Dein Text passt so gut. Gerade heute. DANKE! Schick Dir liebste Grüße!!!
alltagsstueckwerk sagte:
Liebe Christina, meine Nachricht zum Abschiedstag von deiner Mama hast du hoffentlich bekommen. Danke, dass du es hier mit uns geteilt hast. Und wie schön du schreibst: … der Ausblick auf abgewischte Tränen sind sanfte Verheissungen… Wunderschön. Ganz liebe Grüße Lissy